PALERMO 2024

Kurz vor den Europawahlen 2024 fängt der deutsch-ukrainische Dokumentarfotograf Miron Zownir das Leben auf den Straßen von Palermo ein. In der dynamischen Hauptstadt Siziliens mit ihrer pulsierenden Kunst- und Kulturszene, dem größten Opernhaus Europas und zahlreichen UNESCO-Welterbestätten trifft er auf eine komplexe und oft prekäre soziale Realität. 

Shortly before the 2024 European elections, German-Ukrainian documentary photographer Miron Zownir captures life on the streets of Palermo. In the dynamic capital of Sicily, with its vibrant art and cultural scene, the largest opera house in Europe and numerous UNESCO World Heritage Sites, he encounters a complex and often fragile social reality.

Eine Auswahl von Fotografien aus Palermo sind in MIRON ZOWNIR -  QUADERNO PALERMO  im sizilianischen Kunstbuchverlag 89books erschienen. 

Palermo. Frühjahr 2024. Der sizilianische Kunstbuchverlag 89books lädt Miron Zownir nach Palermo ein, um seinen individuellen Blick auf die Stadt und ihre Bewohner fotografisch festzuhalten.  Zownir ist nicht zum ersten Mal in der Stadt. 2021 widmete ihm das Centro Internazionale di Fotografia Palermo, damals noch unter der Leitung der italienischen Fotografin Letizia Battaglia, eine umfassende Retrospektive mit dem Titel "Non c'è più tempo". Nach den strengen Corona-Lockdowns mit dramatischen wirtschaftlichen Folgen, erwachte die Kulturhauptstadt Siziliens nur langsam wieder aus ihrer Schockstarre. Viele Selbstständige, Kleinunternehmer und Künstler standen vor den Trümmern ihrer Existenz.   

Auch heute noch steht die Stadt vor großen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Müllberge, die sich über Nacht auftürmen, gehören ebenso zum Stadtbild wie verfallene Barockbauten und bröckelnde Fassaden in der Altstadt. Für viele der Menschen, die Miron Zownir in den verwinkelten Gassen der Altstadt und den angrenzenden Vierteln portraitiert hat, ist jeder Tag ein Kampf ums Überleben.  Rund 25 Prozent der Einwohner Palermos leben unter der Armutsgrenze.   Der Unmut in der Bevölkerung über die Vielzahl an unbewältigten "chronischen" Problemen hat zu einem politischen Rechtsruck geführt. Leoluca Orlando, der wohl bekannteste Bürgermeister Palermos und Verfechter einer liberalen Einwanderungspolitik, wurde vor zwei Jahren von Roberto Lagalla abgelöst, dem gemeinsamen Kandidaten von Fratelli d'Italia, LEGA und Forza Italia.  Wer sich Verbesserungen erhofft hatte, wurde bisher enttäuscht. Im vergangenen Sommer durchlebten die Palermitaner einen Dioxin-Albtraum, als die nahe gelegene Mülldeponie Bellolampo tagelang in Brand stand und sich das toxische Gift in schwarzen Wolken verteilte, um sich schließlich auf dem Boden der umliegenden Felder festzusetzen. Vor dem Verzehr von kontaminiertem Obst und Gemüse sowie Fleisch-und Tierprodukten aus dem Umland wurden die Bürger viel zu spät gewarnt. Ein Umwelt- und Gesundheitsskandal, der zu Massenprotesten vor dem Rathaus von Palermo führte. Ohne weitreichende Konsequenzen. 

Palermo braucht nach wie vor dringend einen Masterplan.  Gegen die hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, gegen Korruption und Misswirtschaft in der Verwaltung, gegen soziale Ungleichheit und Umweltverbrechen. Trotz aller Widrigkeiten  offenbaren  Zownirs Fotografien aber auch eine erstaunliche Aura der Unverwüstlichkeit und einen fast sturen Stolz, der die sizilianische Bevölkerung auszeichnet. Hier stirbt die Hoffnung zuletzt. Die Zeit scheint stillzustehen. Als gäbe es kein Morgen, keine noch so leise Veränderung. Jugendliche Schulabbrecher treffen sich in  den schattigen Hinterhöfen. Ihre Frustration und Resignation über fehlende Perspektiven verstecken sie hinter maskulinen Gesten, die den  Zusammenhalt beschwören. Die Quote der Jugendlichen unter 16 Jahren ohne Schulabschluss ist in Palermo alarmierend hoch. Auf dem legalen Arbeitsmarkt haben sie kaum eine Chance. Viele bleiben an den Leimruten der Mafia kleben wie Pechvögel.  Bis heute gilt, was Generationen junger Menschen in Sizilien seit über hundert Jahren erfahren haben: Nur wer die Insel verlässt, hat eine Chance wiedergeboren zu werden. 

Als Dokumentarfotograf hält Miron Zownir einen flüchtigen Ausschnitt der Gegenwart fest, während sich im Teatro Massimo die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, knapp vor den Europawahlen, medienwirksam als Architektin der Zukunft Siziliens feiern lässt. Das jüngst unterzeichnete Abkommen für Entwicklung und Kohäsion soll in den kommenden Jahren mehr als sechs Milliarden Euro in die lange vernachlässigte Region fließen lassen und „das Gesicht Siziliens verändern".

Wer tatsächlich davon profitieren wird, bleibt abzuwarten. 

(Text: N.Anfuso 09/2024)

Palermo. Spring 2024. The Sicilian art book publishing house  89books, invites Miron Zownir to Palermo in order to capture his personal view of the city and its people through the medium of photography. This is not the first occasion on which Zownir has visited the city. In 2021, the Centro Internazionale di Fotografia, then under the direction of Italian photographer Letizia Battaglia, dedicated a comprehensive retrospective to Zownir entitled 'Non c'è più tempo'.  Back then, after the strict corona lockdowns with dramatic economic consequences, the cultural capital was slow to awaken from its state of shock. Most self-employed people, small businesses and artists were faced with the ruins of their existence.   

To this day, the city is still struggling with major economic and social challenges.   Mountains of rubbish that pile up overnight are just as much a part of the cityscape as dilapidated baroque buildings and run-down facades in the historic centre. For most of the people portrayed by Miron Zownir every day is a struggle for survival. Around 25 per cent of Palermo's inhabitants live below the poverty line. People's discontent over the multitude of unresolved problems has led to a political shift to the right. Leoluca Orlando, probably Palermo's best-known mayor and advocate of a liberal immigration policy, was replaced two years ago by Roberto Lagalla, the joint candidate of Fratelli d'Italia, LEGA and Forza Italia.  Anyone hoping for improvements has so far been disappointed.  Last summer, the people of Palermo experienced a dioxin nightmare when the nearby Bellolampo landfill site was on fire for days and toxic black clouds dispersed the dioxin, which finally settled on the surrounding farmland. The population was warned far too late not to eat contaminated fruit and vegetables, meat and animal products from the region. An environmental and health scandal that led to mass protests in front of Palermo's city hall, unfortunately without far-reaching consequences. 

The city still urgently needs a masterplan. Against high unemployment rates, especially among young people, against corruption and mismanagement in the administration, against social inequality and environmental crimes. But despite all the hardship, Zownir's photographs reveal an astonishing aura of resilience and almost stubborn pride that defines the people of Sicily, where hope dies last.  Time seems to stand still. As if there will be no tomorrow, no change at all. School drop-outs meet in shady backyards, hiding their frustration and resignation at the lack of any future prospects behind masculine gestures  emphasising their solidarity. The rate of young people under the age of 16 who have not completed school is alarmingly high in Palermo. They hardly stand a chance on the legal labour market. Many stick to the mafia's glue lines like bad luck. For most young people in Sicily, it has been true for generations: "Only those who leave the island might have a chance to be reborn". 

As a documentary photographer, Miron Zownir captures a fleeting glimpse of the present as the Italian prime minister, Giorgia Meloni, is celebrated as the architect of Sicily's future in the Teatro Massimo, just before the European elections. A Development and Cohesion Agreement, which was recently signed, is set to channel more than six billion euros into the long-neglected region over the next few years, and aims to 'change the face of Sicily'.

Who actually benefits remains to be seen.

Find a selection of Miron Zownir's photographs from Palermo in MIRON ZOWNIR -  QUADERNO PALERMO  published by 89books

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.